Friday, November 03, 2006

Englische Uni




Ein paar Fotos, die vielleicht einen Eindruck vom Charakter des Campus vermitteln

Gruesse in alle Richtungen.

Eine gute Nachricht: Seit drei Tagen funktioniert unsere Heizung! Zum Glueck, denn zur gleichen Zeit ist es hier bitterkalt geworden. Zur Entschaedigung haben wir dafuer schoenstes Herbstwetter bekommen, tagelang strahlende Sonne auf den bunten Blaettern und kein Tropfen Regen. Wirklich sehr angenehm.

Der Grund fuer mein Schweigen am letzten Wochenende war eine Essay-Deadline, die immer naeher rueckte und mich vom Bloggen abhielt. Jetzt allerdings habe ich Zeit, weil naechste Woche “Reading Week” ist und keine Vorlesungen stattfinden. Bei der Gelegenheit will ich deshalb mal das englische Unisystem, soweit ich es bisher erlebt habe, ein bisschen vorstellen. Das Unijahr ist hier, wie bestimmt schon erwaehnt, in drei Terms zu jeweils 10 Wochen unterteilt, wobei in Term 3 nur noch wenige Vorlesungen stattfinden und hauptsaechlich die Abschlussklausuren vorbereitet bzw. die letzten Esssays geschrieben werden. Da gibt es also keine Reading Week mehr. Die ersten beiden Terms dagegen haben jeweils eine solche in Woche 6, was auch wirklich noetig ist, weil das Lesepensum hier das im (fleissigen?) Deutschland bei weitem uebersteigt. In den vergangenen 5 Wochen etwa wurden (alle meine 4 Module zusammengenommen) schon 11 Dramen besprochen, dazu Gedichte, Theorie und Kleinkram; ausserdem fanden 3 obligatorische Theaterabende statt. Und was einem nicht noch alles an Sekundaerliteratur empfohlen wird.
Konsequenz ist natuerlich, dass nichts wirklich gruendlich gemacht wird. Sowohl Vorlesungen als auch Seminare dauern nur eine Stunde, und weil man hier aus mir unbegreiflichen Gruenden keine Pausen zwischen den Veranstaltungsbloecken hat (wie in Stuttgart, wo der Tag in ein 90-15-Raster eingeteilt ist, mit jeweils 15 min Pause zwischen anderthalbstuendigen Veranstaltungen – vorbildlich!), sondern sich die Vorlesungen nahtlos aneinanderreihen, beginnt effektiv jede Veranstaltung 5 min spaeter und endet 5 min frueher, die zur Verfuegung stehende Zeit reduziert sich also auf nur noch 50 Minuten. Ziemlich besch…euert, meiner Meinung nach.
An guten Tagen allerdings gleicht die Qualitaet der Seminare deren Kuerze einigermassen wieder aus, bloss sind die guten Tage auch hier nicht die Regel. Seminare koennen zwar sehr lebhaft sein, mitunter so sehr, dass ein paar Minuten lang der Dozent sich voellig raushaelt und die Studis untereinander diskutieren laesst – etwas, was ich bisher,zumindest aus Stuttgart, kaum kannte – aber die zaehen Hinhalte-Seminare, in denen die Haelfte der Teilnehmer nicht richtig vorbereitet ist und die Pseudo-Diskussion sich deshalb quaelend langsam hinschleppt, bis das Ganze endlich ueberstanden ist, die gibt es leider hier auch.
Trotzdem haben die Studenten in der Regel ihre Texte vorher gelesen und auch dabei (!), und das in Deutschland so gut bekannte “Spaeter kommen, dafuer frueher gehen” kommt kaum vor, was wohl auch daran liegt, dass die Seminare aus ca. 15 Leuten bestehen, die in einem kleinen Raum im Kreis sitzen, man also schlecht entwischen kann. Ein bisschen kurius: Am Ende der Vorlesungen gibt es keinerlei Beifallsbekundungen – der Dozent bedankt sich und verschwindet, und die Studis gehen unverzueglich zum Small Talk ueber. Generell herrscht eine recht lockere Atmosphaere, in Seminaren sitzen die Professoren nicht vor, sondern unter den Studis und wollen fast immer mit Vornamen angesprochen werden (Was uns Deutschen, nicht nur mir, ziemlich schwer faellt; jedenfalls war es fuer mich fast ein Kulturschock, als einer meiner englischen Mitstudenten am Ende eines Seminars Prof. Bate, einen ziemlich renommierten Shakespeare-Forscher Mitte Fuenfzig, ganz beilaeufig fragte: “Jonathan, when are your office hours?” Ich muss erst noch selbst ausprobieren, wie sich das anfuehlt. Ja, die Deutschen mit ihrer Obrigkeitshoerigkeit…)
Gar nicht mehr locker ist allerdings der Umgang mit Abgabeterminen von Essays hier, zumindest nicht offiziell. (Ob es inoffiziell so aehnlich laeuft, wie in Deutschland, probiere ich lieber nicht aus.) Ausser nach Vorlage eines aerztlichen Attests sind keine Fristverlaengerungen moeglich, und fuer jeden Tag zuviel werden 5 % der Note abgezogen, d.h. schon nach einer Woche kann man’s komplett vergessen. (Die Noten werden in Prozenten vergeben, ueber 70 % gibt es kaum, unter 30 % ist durchgefallen, glaube ich. Mein letzter Essay in Deutschland haette nach diesem System ungefaehr – 250 % eingefahren…)
Andererseits sind die Essays hier kuerzer als in Deutschland – der Standard liegt bei 3000 Woertern, das sind etwa 8 Seiten bei Zeilenabstand 1,5 – das heisst, man hat vielleicht noch eine Chance, einen Essay am letzten Wochenende uebers Knie zu brechen, was bei einer 25-Seiten-Hausarbeit wohl kaum funktioniert. Ich kriege es jedenfalls nicht hin.
Wo wir gerade beim Vergleichen sind: Auch hier sind die Geistis in einem der aelteren Gebaeude untergebracht, das kommt einem irgendwie bekannt vor. Insgesamt ist die Uni aber hervorragend ausgestattet, die Bibliothek hat unter der Woche bis Mitternacht, im Summer Term bis 2.00 nachts offen, dazu sonntags bis 20.00 Uhr, es gibt zig Computerraeume, von denen einige die ganze Woche rund um die Uhr geoeffnet sind, dazu das/der Learning Grid, eine Art Gruppenlernraum, ebenfalls immer offen, in dem jede Menge Scanner, Beamer, Flipcharts, Flatscreens und dergleichen Schnickschnack zur Verfuegung stehen, und staendig jemand von der Uni da ist, um bei Fragen zu helfen.
Warwick ist eine Campus-Uni, die in den 60ern hier in die Landschaft gepflanzt wurde, das heisst alles liegt sehr nahe beieinander, schon morgens zwischen 8 und 9 sind haufenweise Leute auf den Beinen, ueberall gibt es kleine Cafeterias, mehrere Bars in der Students’ Union, einen Supermarkt, Friseur, Apotheke, 3 Bankfilialen, Post Office usw. Trotz der etwas kahlen, funktionalen Architektur der Gebaeude ist es also recht gemuetlich hier; dazu sehr gruen, mit vielen Baeumen auf dem Campus selbst und einer Landschaft drumherum, die gluecklicherweise gar nicht so langweilig ist wie befuerchtet: huegelig, Laubwald und Wiesen, weidende Schafe, ziemlich angenehm. Das Stadtzentrum von Coventry liegt zwar nur 5 km entfernt, aber das Ganze hat trotzdem fast laendlichen Charakter.
Die Strecke zwischen Uni und meiner Wohnung schaffe ich in nicht ganz 20 Minuten mit dem Fahrrad, an den Linksverkehr gewoehnt man sich recht schnell - obwohl ich immer noch beim Ueberqueren der Strasse erst in die falsche Richtung schaue - und das Beste ist, dass direkt auf dem Weg ein riesiger Tesco-Supermarkt liegt, sowas wie der englische Aldi, der wochentags rund um die Uhr geoeffnet hat sowie sonntags bis 16.00 Uhr. Einkaufen ist also kein Problem hier; neben Tesco gibt es noch einen weiteren grossen Supermarkt 5 min von unserem Haus entfernt, und genau so schnell ist man in der Innenstadt, die meinem bisherigen Eindruck nach ein einziges Gewirr von Einkaufszentren und Ladenmeilen zu sein scheint – Kaufen und Verkaufen scheint hier eine ziemlich wichtige Rolle zu spielen. Aber ich greife vor. Ueber die englischen Sitten werde ich mich ich naechste Woche ein wenig auslassen.
Macht’s gut bis dahin.

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