Sunday, December 10, 2006

Englischer Fussball



Da bin ich wieder. Bevor ich zur Hauptsache komme – Fussball natuerlich – ein paar Zeilen zu den letzten zwei Wochen. Seit letztem Freitag ist der erste von drei Terms Geschichte. Wenn man jetzt zurueckblickt, ist er eigentlich rasend schnell vorbeigegangen – aber das denkt man im Rueckblick ja immer.
Besonders zu diesem Gefuehl beigetragen hat die viele Arbeit, die einem hier aufgebuerdet wird. In den letzten beiden Wochen waren neben den normalen Seminarinhalten noch 2 Essays zu schreiben, die ich beide jeweils 3-4 Minuten vor Ablauf der Frist “fertig” gemacht und abgeliefert habe – die Ergebnisse werden wohl dementsprechend ausfallen. Man kommt irgendwann dahin, dass einem beim Blaettern im Terminplaner jede Arbeitsstunde, die man noch zur Verfuegung hat, fuer eine Kostbarkeit haelt, und dass man (wie mir passiert) die Faust ballt und laut “Jaa!” schreit, wenn man entdeckt, dass bei einer zusaetzlichen Schreibaufgabe nur 600 statt der erwarteten 1500 Woerter verlangt werden. Aber an den Zeitdruck werde ich mich wohl gewoehnen muessen; die Texte fuer die Seminare konnte ich mehrmals erst direkt vorher zu Ende lesen, oder gar nicht, weil es schlicht nicht schneller ging – anders als in Deutschland, wo man das bei normalem Aufwand schon hinkriegt – und daran wird sich im naechsten Term nicht viel aendern, es sei denn ich schaffe es, ueber Weihnachten einiges im Voraus zu lesen und mir einen Vorsprung zu verschaffen. Mal sehen. Alles das soll nicht den Eindruck erwecken, dass ich hier doppelt so grosse Lernfortschritte mache wie in Deutschland – die Umfaenge sind hier einfach groesser, nicht die Tiefe, und das nervt manchmal schon. Aber was solls, es macht trotzdem Spass.
Am Freitag war dann die grosse, wilde “End of Term Party” in der Students’ Union, zu der ich - sogar freiwillig - hingegangen bin, und es nicht einmal bereut habe. Beschreiben muss ich das nicht; die Begeisterung besonders der “Freshers” (Studienanfaenger), den ersten Term ueberstanden zu haben, entsprach dem Mass an Arbeitsbelastung, das man jetzt ploetzlich los war, den Rest kann man sich vorstellen.
Gestern (Samstag) war dann Troedel-Tag, und heute waren mein indonesischer Mitbewohner (und inzwischen guter Kumpel) Adi, meine chinesischen Housemates Wayne und Eli sowie meine Wenigkeit in einem chinesischen Restaurant nicht weit von hier (Bild oben), wo man sich fuer 5.90 Pfund am Buffet so oft und umfangreich bedienen kann, wie man will – eine gute Futterstelle, die man sich fuer die Zukunft merken muss.
Anschliessend haben wir uns Chelsea – Arsenal (1-1) in einer der Uni-Bars angesehen, ein Match, das mich maechtig beeindruckt hat wegen seines Tempos und seiner Dramatik. Womit wir bei dem Spiel waeren, das die Englaender “the beautiful game” nennen (wahrscheinlich, weil sie es selbst erfunden haben) und das ihnen von allen das liebste ist, trotz Rugby, Snooker, Cricket und dergleichen – Fussball ist und bleibt die Nummer eins (Recht so!) Adi ist Fan von Manchester United und damit erklaerter Chelsea- und Jose Mourinho-Hasser. Er ist damit nicht allein: Als Arsenal in Fuehrung ging, jubelten fast alle Studis in der Bar. Ueber Mourinho, der sich bei seiner Ankunft in England vor 2 oder 3 Jahren als “the special one” vorgestellt haben soll, kursieren Spottsongs, und halb England will, wie es scheint, Chelsea verlieren sehen. Interessanterweise werden im Mutterland des Fussballs alle 4 Spitzenklubs von Auslaendern trainiert – Chelsea vom Portugiesen Mourinho, Arsenal London vom Franzosen Wenger, Liverpool vom Spanier Benitez und Manchester United vom Schotten Ferguson. Eigentlich verwunderlich, denn Fussballsachverstand scheint in England in Huelle und Fuelle vorhanden zu sein. Die Spielbesprechungen im Fernsehen und in den Zeitungen sind z. B. deutlich detaillierter und sachlicher als in Deutschland, und selbst Freizeitkicks werden ziemlich ernstgenommen.
Was mich zu dem 5-a-side-Team bringt, dem ich seit Termbeginn angehoere und von dem oben ein Foto zu sehen ist (auf dem ich wie ueblich beknackt aussehe): “The Walkovers”. Der Name ist ironisch und bedeutet in etwa “Die Flaschen, die man mit links besiegt”. Es gibt an der Uni Warwick, neben 4 Maennerteams, 2 oder 3 Frauenteams, 3 Hobbyligen fuer 11er-Freizeitmannschaften und den Spielen der Societies gegeneinander auch noch eine Liga fuer 5er-Freizeitmannschaften, in der etwa 180 Teams in mehreren “Ladders” organisiert sind und in einem Challenge-System sowie einer KO-Pokalrunde gegeneinander antreten. Wir haben in unserer “Ladder” bisher alle Spiele gewonnen bis auf das letzte (Ihr wisst ja, an wem’s liegt), und liegen derzeit auf Rang 4 in unserer “Leiter”, steuern also auf die Champions League im naechsten Jahr zu, an der die besten 6 Teams jeder Ladder teilnehmen. Das Challenge-System besteht darin, dass siegreiche Mannschaften im naechsten Spiel Mannschaften herausfordern koennen, die (je nach aktuellem Tabellenplatz) eine bestimmte Anzahl von Platzen weiter oben stehen, und mit denen sie bei einem Sieg die Plaetze tauschen. Trotz diesem ziemlich rabiaten Modus, und obwohl ohne Schiri gespielt wird, gab es bisher keine Problem mit anderen Mannschaften; nur unser ueberehrgeiziger Captain Yusuf macht manchmal ziemlich Stress, weil er in praktisch jeder Halbzeitpause eine Brandrede haelt. Er meint’s gut, ich lass ihn reden; abgesehen davon ist er ein hervorragender Teamchef. Er und seine Housemates sind Fussballfanatiker und haben sich SkyTV (das englische Premiere) in ihre gemeinsame Wohnung geholt; Chris, der beste Spieler im Team (nach … na wem wohl) hat mir erzaehlt, dass er samstags schon mal 14 Stunden vor dem Fernseher verbringen kann, und dass Fussball bei ihm grundsaetzlich Vorrang hat vor dem Studieren. So soll’s sein. Ein richtiger Englaender eben.
Und wie es sich fuer Englaends Fussballer gehoert, wird die Rivalitaet mit uns Deutschen gehegt und gepflegt. Gestern war ich in einem “Virgin Megastore”, dem englischen MediaMarkt, und bin auf eine DVD gestossen mit dem legendaren 5-1-Sieg der Englaender ueber uns in Muenchen vor ungefaehr 5 Jahren. Darauf das Spiel in voller Laenge mit Extras, einem Cover, das den Endstand auf der Anzeigetafel im Muenchner Olympiastadion zeigt und Attributen wie “This is the game that even the players can’t stop watching!” oder “A victory beyond our wildest dreams and expectations!”. Die Rueckseite bietet den 5 mal ueberwundenen King Kahn mit gesenktem Kopf und deprimiertem Blick. Die genuesslich-triumphierende Spielbeschreibung “wie wir die Deutschen fertigmachten” (“crushed the Germans”) erspare ich meinen Lesern – an sowas haetten nur Masochisten ihren Spass.
Aber wir goennen es ihnen ja, nicht? Irgendwie muss man sich ja dafuer troesten, dass man bei jedem grossen Turnier im Elfmeterschiessen ausscheidet …
Damit genug vom Fussball, und fuer heute.
Halt, eins noch. Ich hatte schon von der ersten Riesenparty erzaehlt, die Thibault der Franzose veranstaltet hat. Mittlerweile gab es davon die zweite, noch groessere Ausgabe; zeitweise muessen sich ueber hundert Leute in unserem engen Haus zusammengedraengt haben, ueberwiegend Franzosen, Spanier, Italiener und Deutsche, die ganze Erasmus-Community eben. Und waehrend beim ersten Mal hinterher das Telefon fehlte (mittlerweile ersetzt), musste diesmal der Wohnzimmertisch dran glauben, dem ein Bein gebrochen wurde. Auch das ist inzwischen wieder repariert, und Thibaults Parties haben ueberdies den Vorteil, dass er das Haus gleich zweimal putzt, vorher und nachher, wahrend er ansonsten Aufraeumen fuer unnoetig haelt und lieber kocht als abspuelt (Andererseits laedt er einen auch gern ein zu nach seinen Schlemmermaehlern). Ausser Aufraeumen haelt er auch Aufstehen fuer unnoetig, jedenfalls wenn es vor 12 Uhr stattfinden soll, und Arbeit vermeidet er nach Moglichkeit (er findet ziemlich viele Moeglichkeiten), sehr zur Verwunderung des bienenfleissigen Deutschen. Hach, immer diese wahren Klischees…

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